Kann es einen pflichtwidrigen Willen geben?

Kann es einen pflichtwidrigen Willen geben?
 
Diese Frage stellt sich immer wieder, wenn es für die Ausreise von Ausländern in ihr Heimatland erforderlich ist, dass sie eine Erklärung unterschreiben, dass sie freiwillig in ihr Heimatland zurückkehren wollen und wird vom Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) und vom Bundessozialgericht (BSG) unterschiedlich beantwortet.
Das BVerwG (BVerwG, Urteil vom 10.11.2009 – 1 C 19/08) hatte über einen Fall zu entscheiden, in dem die iranische Botschaft von einer Iranerin eine „Freiwilligkeitserklärung“ verlangte, damit für sie ein Reisedokument ausgestellt wird. Dazu muss man wissen, dass die Iranerin nach § 49 Abs. 2 AufenthG verpflichtet war, „die von der Vertretung des Staates dessen Angehörigkeit [sie] besitzt […] geforderten und mit dem deutschen Recht in Einklang stehenden Erklärungen im Rahmen der Beschaffung von Heimreisedokumenten abzugeben“. Es war also die Frage zu klären, ob die Verpflichtung aus dieser Norm auch die Erklärung umfasst, die Betroffene wolle freiwillig in den Iran zurückkehren, obwohl sie tatsächlich diesen Willen nicht hat. Nachdem mehrere Gerichte bereits geurteilt hatten, dass niemand verpflichtet werden kann, eine falsche Erklärung abzugeben – also zu lügen – stellte das BVerwG klar: „Die gesetzliche Ausreisepflicht schließt die Obliegenheit für den Ausländer ein, sich auf seine Ausreise einzustellen, zur Ausreise bereit zu sein und einen dahingehenden Willen zu bilden.“. Die Iranerin sollte also nicht lügen, denn sie war ja von Gesetzes wegen zur Bildung des Willens zur freiwilligen Ausreise verpflichtet.
Das BSG (Urteil vom 30.10.2013 – B 7 AY 7/12 R) hatte dagegen einen Fall zu entscheiden, in dem nach § 1a AsylbLG eine ähnliche Pflicht für einen malischen Staatsangehörigen bestand. Er sollte gegenüber seiner Botschaft eine „Ehrenerklärung“ mit dem Inhalt abgeben: „Ich bin malischer Staatsangehöriger und möchte freiwillig in mein Heimatland zurückkehren“. Auch er wollte aber nicht freiwillig ausreisen. Das BSG kann den Erwägungen des BVerwG nicht folgen und stellt sehr deutlich klar, dass es keine Pflicht geben kann, etwas Bestimmtes zu wollen. Der staatliche Zwang, etwas wollen zu müssen, „entspräche einem dem Grundgesetz fremden totalitären Staatsverständnis“.
Es bleibt zu hoffen, dass die totalitären Tendenzen in der Rechtsprechung zum Aufenthaltsrecht eines Tages aufgegeben und die Rechtsprechung als Ganzes auf den Boden des Grundgesetzes zurückkehrt (vgl. auch: ANA-ZAR, Heft 2, 2014, S. 22 und 2010, Heft 2, S. 16).

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