Tino Brandt: Viel Geld gegen den „Verräterkomplex“ - doch der V-Mann spielte mit dem Verfassungsschutz; erstmals im Verfahren Beugehaft gegen Thomas R. angekündigt.

Presseerklärung der Nebenklägervertreter Rechtsanwälte Sebastian Scharmer und Peer Stolle vom 1. April 2014

Tino Brandt: Viel Geld gegen den „Verräterkomplex“ - doch der V-Mann spielte mit dem Verfassungsschutz; erstmals im Verfahren Beugehaft gegen Thomas R. angekündigt.

Heute fand der 100. Verhandlungstag statt. Zunächst war ein weiterer Mitarbeiter des Thüringer Verfassungsschutzes geladen, der von 1994 bis Mitte 1998 den V-Mann Tino Brandt geführt hat. Auch wegen seiner technischen Erfahrung habe er in dieser Zeit zu 90 % die Quelle bearbeitet. Brandt sei sein einziger V-Mann in der rechten Szene gewesen, sonst sei er im Bereich „Linksextremismus“ tätig gewesen. Brandt sollte am so genannten „Thule Netz“ teilnehmen und so Informationen für den Verfassungsschutz zu besorgen. Als die Drei 1998 abtauchten, gab er Brandt die Anweisung, sein verwanztes Auto André K. zur Verfügung zu stellen, damit der sie zum Versteck des Trios bringen würde. Das sei aber misslungen.

Mitte 1998 habe man ihm die V-Mann-Führung entzogen, um „die Strukturen zu bereinigen“. Er sollte nicht gleichzeitig im Bereich Links- und Rechtsextremismus tätig sein.
Später sei er dann noch einmal tätig geworden, um weisungsgemäß die Quelle abzuschalten. Es habe im Amt erhebliche Spannungen gegeben. Der Leiter Dr. Roewer habe einen anderen V-Mann-Führer verdächtigt, ihn hinter das Licht zu führen, deswegen wäre er wieder beauftragt worden.
Mit Brandt habe es wöchtenliche, mitunter auch mehrfache wöchentliche Treffen gegeben. Diese hätten teilweise auch in Bayern, Coburg, also am Arbeitsort von Brandt stattgefunden. Brandt sei in seinen politischen Ansichten sehr gefestigt gewesen, ein überzeugter Neonazi und Rechtsextremist. Rechte Politik sei der absolute Lebensinhalt der Quelle.
Brandt habe gedacht, er könne mit dem Verfassungsschutz „spielen“. Er soll sich auch einmal jemandem aus der Szene über seine Spitzeltätigkeit offenbart haben. Diese Person sei aber auch V-Mann gewesen, weshalb der Verfassungsschutz darüber bestens informiert gewesen wäre. Wer diese zweite Quelle gewesen sei, dürfe der Zeuge nicht sagen. Die Probleme mit der Quelle habe man dann aber dadurch gelöst, dass man ihn mit Geld „verführt und kontrolliert“ habe. Später sei Brandt zum Problem geworden, weil er in der Szene „omnipotent“ war und auch über reichlich Geldmittel verfügte. Man habe das versucht zu bremsen, indem man ihn gleichzeitig mit bestimmten Szenetreffen zu Besprechungen vorgeladen hat, um eine Teilnahme zu verhindern, das sei aber „nicht so gelungen“. Der Verfassungsschutz habe auch gemerkt, dass Brandt nicht immer vollständig berichtet habe, was sich aber später gebessert hätte.
Anfangs hätte Brandt eine Art „Verräterkomplex“ gehabt. Es sei ja auch schizophren gewesen, den Staat einerseits zu bekämpfen und andererseits mit ihm zusammen zu arbeiten. Dieser Komplex sei aber nach und nach mit Zahlung erheblicher Summen zurück gegangen. Brandt sei die bestbezahlteste Quelle, ein „Spitzenverdiener“ gewesen. Pro Woche gab es 200-400 DM und „Auslagen“ sowie „Sonderprämien“ zur „Motivation“. Aber „die Relation habe gestimmt“.
Die Namen des Trios seinen wegen dem "Beobachtungsobjekt Thüriger Heimatschutz“ bekannt gewesen. Brandt habe aber selbst in Jena wenig zu tun gehabt, nur einen guten Draht zu André K. Die „Sektion Jena“ sei in der Szene besonders wichtig gewesen, die Namen waren alle geläufig. Als der Pupentorso mit antisemitischen Parolen und Bombendrohung an der Autobahn aufgehängt wurde, habe Brandt nichts über die Täter berichtet. Beim Verfassungsschutz sei man davon ausgegangen, dass er einfach von Jena zu weit weggewesen wäre. Weil er die einzige „Top-Quelle“ gewesen wäre, hätte man seine Informationen aber auch schlecht überprüfen können. Brandt sei ihm immer „verschmitzt“ vorgekommen in einer Art „geglaubter Überlegenheit“.

Rechtsanwalt Scharmer erklärt dazu:
„Es ergibt sich das ziemlich klare Bild, dass Brandt den Verfassungsschutz kontrollierte – nicht andersherum. Brandt wusste, welche Informationslage der Verfassungschutz hatte. Seine Informationen wiederum wurden faktisch nicht überprüft. Große Mengen an Geld zahlte man an einen bundesweit „omnipotenten überzeugten Neonazi und Rechtsextremisten“. Die Zahlung von „Auslagen und Prämien“ bedeutete insoweit auch nichts anderes, als die aktive Unterstützung des Ausbaus von Neonazistrukturen in Deutschland. Der thüringer Verfassungsschutz ist damit mitverantwortlich für den aktiven Aufbau von extremistischen Neonazistrukturen, wie dem Thüringer Heimatschutz, zu dem letztlich auch das Trio und deren Unterstützer gehörten – mitverantwortlich damit auch für die Morde und Sprenstoffanschläge. Die Vernehmung zeigt, dass die Arbeit des Verfassungsschutzes insgesamt kontraproduktiv ist. Diese Institution gehört zumindest in dieser Form abgeschafft.“

Der Zeuge wird erneut geladen werden, wenn Tino Brandt selbst als Zeuge vernommen worden ist.

Am Nachmittag wurde der Zeuge Thomas R. vernommen. Er stammt aus der Chemnitzer Naziszene rund um das Netzwerk „Blood & Honour“. Er erklärte, dass die Drei bei ihm klingelten, geschlafen haben und dann wieder weg waren. „So das wars“. Der Rest der Vernehmung gestalltete sich-  wie erwartet - wiedereinmal langwierig. Der Zeuge antwortete forsch und einsilbig, stellte häufig Gegenfragen und war offensichtlich nicht bereit, etwas zur Aufklärung beizutragen.
Die Drei habe er zum ersten Mal gesehen, als sie bei ihm klingelten. Bei ihm hätten ja soviele Leute geschlafen, dass er sich gar nicht mehr daran erinnern könne. Er blieb stoisch „Na die haben geklingelt, wie es halt so ist, Tür auf, geschlafen. Was soll ich dazu noch sagen.“ Er habe dann später noch bis ca. 2000 Kontakt gehabt. „Mal getroffen, mal Fahrrad gefahren, mal Computerspiele gespielt, mal DVD's ausgetauscht.“ Das sei erst in Chemnitz, dann später noch in Zwickau in deren neuer Wohnung gewesen. Er hätte sich gut mit den Dreien verstanden, da müsse er "nichts weiter dazu" sagen. Er habe eine Telefonnummer von den Dreien gehabt. Die Nummer hatte er aber nicht gespeichert, nur abgeschrieben. Der Umgang mit den Dreien, soll immer „ganz normal“ gewesen sein.
 „Irgenwann“, habe „irgendjemand“ angerufen und gesagt, er soll mal den Fernseheher anmachen. Da lief „Kripo Live“ und die Drei würden gesucht werden. „Da wußte ja dann jeder, dass die gesucht werden“ und sie hätten deswegen aus seiner Wohnung rausgemusst.
Erst auf mehrfaches Nachfragen gab er an, dasss es sein Freund Thomas S. gewesen sei, der die Drei zu ihm gebracht hatte und ihn auch angerufen habe. Mit ihm will er aber danach nur noch ganz selten Kontakt gehabt haben. Über die polizeiliche Fahndung nach den Dreien habe er nicht gesprochen. André E. kenne er von Veranstaltungen und Partys, aber damals als die Drei bei ihm wohnten, habe er ihn nicht gekannt.
Er habe zu den 88igern gehört. Die Zahl 88 stehe „irgendwie“ für „irgendwas“, für was, wisse er nicht. Die hätten aber nichts mit „Blood & Honour“ zu tun. Da habe er auch ein bischen was mit gemacht, zum Beispiel Konzerte organisiert oder dort Saalschutz gemacht.
Im Verlaufe der Vernehmung gab R. an, dass er Fragen zu „Blood & Honour“ nicht mehr beantworten wolle. Es bestehe ein Verfahren gegen ihn. Nach telefonischer Auskunft der Staatsanwaltschaft Dresden sei das Verfahren aber schon 2010 eingestellt worden. Der Vorsitzende kündigte ggf. Ordungsgeld und Beugehaft an, zuvor soll jedoch die Akte aus Dresden besorgt werden. Der Zeuge wird erneut geladen.

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