Wohlleben liest seine Einlassung vor - Er stilisiert sich und die rechte Szene als Opfer von staatlicher Verfolgung und "linker Gewalt". Die von Carsten S. besorgte Waffe sei nicht die Tatwaffe und habe angeblich nur einem möglichen Suizid gedient

Presseerklärung der Nebenklagevertreter Rechtsanwalt Sebastian Scharmer und Rechtsanwalt Dr. Stolle vom 16.12.2015

 

Wohlleben liest seine Einlassung vor - Er stilisiert sich und die rechte Szene zu Opfern von staatlicher Verfolgung und "linker Gewalt". Die von Carsten S. besorgte Waffe sei nicht die Tatwaffe und habe angeblich nur für einen möglichen Suizid von Böhnhardt gedient

 

Am heutigen Tag waren als Zeugen eigentlich allein drei Polizeibeamten geladen, die Asservate ausgewertet hatten - Routinearbeit also für das Gericht. Ohne das es vorher noch einmal eine konkrete Ankündigung gab, gab am späten Vormittag der Angeklagte Wohlleben dann jedoch eine Erklärung ab, die er selbst verlas, aber nicht schriftlich übergeben wurde. Vorab versuchten seine Verteidiger die Erklärung als "Akt der Notwehr" gegen lügende Zeugen und Mitangeklagte zu inszenieren. Es würden zwar Fragen aller Verfahrensbeteiligten beantwortet werden, nicht jedoch solche, die einem vermeintlichen "Szenevoyorismus" dienen würden. Der Einlassungstag schien in der rechten Szene auch kommunizeirt worden zu sein, so dass sich auf der Zuschauertribüne mehrere einschlägig bekannte Zuhörer befanden.

Die Einlassung war umfangreich und detaillierter als die von Zschäpe. Wohlleben berichtete zunächst von seinen persönlichen Verhältnissen, seiner Zeit im Heim, seinem Verhältnis zu seinen Eltern und seinen Umzügen, insbesondere ins braune Haus, was Wohlleben lieber als Wohn- und Schulungsobjekt bezeichnete.

Politisch sei er immer interressiert gewesen. Schon bei den Montagsdemonstrationen in Jena zur Wendezeit sei er dabei gewesen. Er habe persönlich schon immer einen "großen Nationalstolz" gehabt, das habe er schon in der DDR gelernt. Er habe sich dann politisch rechts gefühlt, aber keine Aktionen begleitet, nur rechte Musik gehört und entsprechende Kleidung getragen. Die Organisation der rechten Parteien habe ihn fasziniert. Mit André Kapke habe er sich dann zunehmend an politisches Veranstaltungen beteiligt. Er gehörte zur "Scheitelfraktion". Vom Thüringer Heimatschutz aus ging er dann in die NPD. Tino Brandt habe das organisiert, um einem Verbot des Thüringer Heimatschutzes entgegen zu wirken. Er sei dann "Landesschulungsleiter" der NPD geworden. Der Angeklagte Carsten S. sei dann als Kreisvorsitzender der NPD gewählt worden, er war zunächst Stellvertreter und ist dann zum Vorsitzenden aufgestiegen. Brandt habe sie mit Infomaterial und Kontakten versorgt. Im Jahr 2000 habe er dann auf Vorschlag von Carsten S. als Ortschaftsratsmitglied in Jena kandidiert und sei auch gewählt worden. Ihm sei vor allem die Jugendarbeit wichtig gewesen. Auch mit dem Ausländerbeirat habe er zu tun gehabt. 2001 sei er Pressesprecher der Thüringer NPD geworden. Als Brandt als V-Mann enttarnt wurde, sei Wohlleben stellvertretender Landesvorsitzender der NPD in Thüringen geworden. 2010 ist er dann aus der NPD ausgetreten und hat sich im Freien Netz Jena organisiert. Seine rechten politischen Überzeugungen habe er nie aufgegeben.

Uwe Böhnhardt sei eher introvertiert und ein Waffennarr gewesen. Mundlos sei eine Art "Schwiegermuttis Liebling" gewesen. Zschäpe sei immer offen und direkt gewesen, man hab gut mit ihr reden können. Gemeinsam seien sie im Winzeklub gewesen. Carsten S. habe er ca. 1997 eher zufällig kennengelernt. Er habe regelmäßig JN Treffen Veranstaltungen organisiert.

Die Kameradschaft Jena könne er mit politischen Forderungen nicht verbinden. Es sei ein Zusammenschluss junger Menschen mit einem "gemeinsamen Bekenntnis zu Heimat und Herkunft" gewesen. Allenfalls habe man mal Flugblätter hergestellt, um den Jenaern ein "schönes Weihnachtsfest" zu wünschen. Zschäpe und Mundlos seien keine "Mitglieder" der Kameradschaft gewesen, seien vielmehr als Freunde von Böhnhardt mitgekommen. In der Folge hat man dann eher als Thüringer Heimatschutz, Sektion Jena agiert. 1998/1999 hätte man dann auch den Nationaler Widerstand Jena gegründet. Den Namen habe Brandt ausgesucht. Eine "offizielle Gründung" habe nicht stattgefunden. Es sei ein Zusammenschluss aller "national orientierten Menschen" aus Jena gewesen. Man habe die "völkische Kultur" vor "weiterem Verfall" schützen wollen - natürlich ganz gewaltfrei. Gegen Ausländer habe er - so seine Erklärung - nichts gehabt. Er fand nur die Politik schlecht, die einen massenhaften Zuzug "kulturfremder Ausländer" förderte. Deswegen habe er ein "Europa der Vaterländer" gefordet und das "Fest der Völker" veranstaltet.

Im "Thüringer Heimatschutz" habe jeder Interessierte teilnehmen können. Es habe einen Mittwochsstammtisch und regelmäßige Koordinierungstreffen gegeben. Politik habe nur eine "untergeordnete Rolle" gespielt. Vielmehr sei viel getrunken worden. Es habe Informationsmaterial gegeben, was Brandt kostenlos verteilt habe.

Bei den Koordinierungstreffen seien gemeinsame Veranstaltungen und Demonstrationen besprochen wurden. Von der Polizei und den Linken habe man sich verfolgt gefühlt. Wohleben stilisierte sich und seine "Kameraden" zu Opfern von Polizeigewalt und angeblichen linken Angriffen.

Seit 1994 habe er viel mit André Kappke zu tun gehabt. In der Dorfdisko habe er möglicherweise auch die Drei getroffen. In Rudolstadt sei sein erstes Sinheadkonzert gewesen, das Konzert, nach dem Brandt als V-Mann angeworben sein soll. Ab ca. 1996 habe er engeren Kontakt mit Böhnhardt und Zschäpe gehabt, diese hätte auch viel Zeit mit Mundlos und seiner Familie verbracht. Als Wohlleben in seine eigene Wohnung zog, habe er Mundlos, Zschäpe und Böhnhardt seltener gesehen. Man habe aber einige politische Veranstaltungen und Demonstrationen gemeinsam besucht. Auch sei man gemeinsam öfter im Urlaub gewesen.

1996 sei er am Aufhängen des Pupentorsosos mit der Bombenatrappe beteiligt gewesen. Zschäpe war angeblich nicht dabei. Er habe "Schmiere gestanden" und den Polizeifunk abgehört. Es sei eine Reaktion auf verschiedene Journalisten gewesen, die nicht mehr über die Aktivitäten der rechten Szene in Jena berichten wollten. Danach seien etliche Hausdurchsuchungen gelaufen, weshalb Böhnhardt auf die Idee gekommen sei, eine Garage anzumieten, um dort alles einzulagern und vor Beschlagnahme zu schützen. Er sei dort auch einmal vor Ort gewesen und habe dort Werkzeug geholt, um das Auto von Mundlos zu reparieren. Dort sei aber nichts gelagert gewesen, was später dort von der Polizei gefunden worden sei. Gewalt habe bei ihnen angeblich fast gar keine Rolle gespielt. Vielmehr seien Böhnhardt und Mundlos nur einmal in einer Diskothek angegriffen worden - natürlich nur eine "Kneipenschlägerei", nichts Politisches. Über die Bombenattrappen und Briefbomben sei nicht geredet worden, er wisse es wahrscheinlich nur aus den Medien. Man sei ja davon ausgegangen, dass die Szene von Spitzeln durchsetzt war. Böhnhardt und Mundlos hätten gern provoziert. Auch der Bombenkoffer mit TNT auf dem Theaterplatz sei eine solche "Provokation" gewesen.

Am Tag des Untertauchens habe er sein Auto zur Verfügung gestellt, um nach der Durchsuchung bei Böhnhardt erst einmal zu verschwinden. Wie die genauen Gespräche an diesem Tag abgelaufen sind, wisse er nicht mehr. Er habe die Nacht bei Jürgen H. verbracht, damit er nicht bei irgendwelchen Duchsuchungsaktionen in Erklärungsnöte kommt.

Danach habe er über ein verschlüsseltes System von Telefonzellen mit Böhnhardt, Mundlos und einer weiteren männlichen Person kommuniziert. An Gespräche mit Zschäpe erinnere er sich nicht. Er habe erfahren, wo sein Auto steht und der Schlüssel liegt. Das sei in Sachsen gewesen. Am Telefon wurde berichtet, dass die Drei fast von der Polizei geschnappt worden wären.

Kurz nach der Reperatur des PKWs im März 1998 sei er nach Chenitz gefahren, um die Drei zu besuchen. An der Autobahn musste er in ein anderes Fahrzeug umstiegen, was von einem "Glatzkopf" gefahren wurde. In einer Chemnitzer Wohnung habe er die Drei getroffen. Die meisten Sachen, die er zu den Dreien gebracht habe, seien Sachen von den Eltern Böhnhardts gewesen. Auch Computertechnik für Mundlos habe er überbracht. An vieles erinnere er sich nicht genau. Brandt habe einen Großteil der sog. "Pogromoly- Spiele" aufgekauft. Jürgen H. habe sie gelagert. Auch er habe eines bessesen, er habe es aber angeblich "nicht so gut" gefunden.

Bei einem weiteren Treffen seien Vollmachten für eine anwaltliche Vertretung übergeben worden. Böhnhardt habe ihn am Rande des Treffens gebeten, eine scharfe Pistole, deutsches Fabrikat zu besorgen. Böhnhardt erklärte zu der Waffe, dass er nicht mehr in Haft gehen werde und sich eher selbst erschießen würde. Brandt solle sich um die Finanzierung kümmern.

Irgendwann habe Carsten S. die Kommunikation mit den Dreien übernommen. Warum und wann das war, wisse er nicht mehr. Es gab den Auftrag in Zschäpes Wohnung einzubrechen, was Carsten S. und Jürgen H. durchgeführt hätten. Dort wurden Unterlagen von Zschäpe besorgt. Ein weiteres Mal sollten sie ein Motorrad stehlen.

Es sei ständig die Frage nach finanzieller Unterstützung gestellt worden. Wie die gesammelten Spendengelder zu den Dreien gekommen wären, wisse er nicht. Kappke und Jürgen H. hätten sich darum gekümmert. Aus Geldgeschichten habe er sich rausgehalten, weil immer behauptet wurde, dass Geld verunttreut werde. Es sei ein Unterschhlupf im Ausland - in Südafrika oder Amerika - angedacht gewesen. Zschäpe habe aber nicht gewollt. Als einmal der "Stern" für ein Interview mit den Dreien viel Geld geboten habe, sei er dafür gewesen, weil dadurch die Flucht ins Ausland hätte finanziert werden sollen.

Irgendwann habe Carsten S. seinen Rückzug erklärt. Dann habe er wieder die Kommunikation über das Telefonzellensystem mit den Dreien aufgenommen. Die Enttarnung von Brandt als V-Mann habe er mit den ihnen besprochen. Er sei später auch mit dem Zug nach Zwickau gefahren. Die Frage, ob Brandt etwas zum Aufenthaltsort verraten habe, sei diskutiert worden. Man habe überlegt, ob sich Zschäpe selbst stellt und die beiden anderen im Untergrund bleiben.

Die Anklagevorwürfe wies Wohlleben als Spekulation zurück. Er habe einen "gewissen Beitrag" zur Flucht geleistet. Maßgeblich organisiert habe er die Unterstützung der Drei im Untergrund nicht. Die Waffenbeschaffung sei durch Carsten S. unzutreffend geschildert worden. Wohlleben wollte angeblich keine Waffe besorgen, deswegen sei Carsten S. beauftragt worden. Der Tipp mit dem Waffenlieferanten Andreas S. und dem Laden Madleys sei von Böhnhardt und Mundlos gekommen. Er sei nicht davon ausgegangen, dass dort eine Waffe besorgt werden könne. Geld habe er zur Waffenbeschaffung nicht gegeben.

Carsten S. sollte ihm die Waffe angeblich gar nicht zeigen, weil er von einer Dauerüberwachung ausging. Er brachte die Waffe dennoch zu ihm. Die Waffe hatte einen Schalldäpfer, den er auf die Waffe aufgeschraubt hat. Er habe angeblich keine Überlungen dazu angestellt, was mit der Waffe angestellt werden sollte. Die Waffe habe anders ausgesehen, als die Ceska 83. Carsten S. habe die Waffe selbst nach Chemnitz gebracht, er sei nicht beteiligt gewesen. Er sei nicht davon ausgegangen, dass die Waffe eingesetzt werden könnte. Allenfalls hätte Böhnhardt damit Suizid begehen sollen. Er sei immer gegen Gewalt, wäre vielmehr selbst immer Opfer gewesen. Morde lehne er natürlich ab. An schwere Straftaten durch die Drei Untergetauchten habe er nie gedacht. Auch habe er nie gesagt: "Die haben jemanden angeschossen." nachdem er mit den Dreien telefoniert habe. Diese Äußerung hätte sich auf eine Schießübung in Südafrika bezogen, wo sich zwei Rechte versehentlich gegenseitig angeschossen hätten.

Böhnhardt habe nach der Waffenbeschaffung angeblich an ihn zurück gemeldet, dass die Waffe nicht funktionieren würde. Carsten S. habe mit Unverständnis reagiert. Die gewaltverherrlichende Propanganda - insbesondere die "Turner-Tagebücher" -, die auf seinem Rechner sichergestellt wurde habe er angeblich nie gelesen.

Die Aussage von Holger G. sei - so Wohlleben - ebenfalls gelogen. Es sei nie um Waffen gegangen, allenfalls um Provokationen.

 

Rechtsanwalt Scharmer erklärt dazu:

„Es steht Aussage gegen Aussage. Carsten S. hat Wohlleben schwer belastet. Wohlleben widerspricht ihm. Die Frage ist, wem das Gericht am Ende glaubt. Plausibel ist die Erklärung von Wohlleben nicht. Denn er stilisiert sich und die gesamte Jenaer Naziszene selbst zu Opfern von staatlicher Verfolgung und angeblicher "linker Gewalt". Gewalt und Militanz wollen sie angeblich abgelehnt haben. Das ist nicht nur plumpe rechte Propaganda, sondern auch durch zahlreiche Beweise, die in dieser Verhandlung schon erhoben worden sind, bereits widerlegt. Die Aussage von Carsten S., die er - anderes als Wohlleben - ganz am Beginn des Verfahrens abgegeben und auch nicht vom Blatt abgelsen hat, belastet Wohlleben weiterhin. Daran ändert die heutige Erklärung nichts.“

 

Rechtsanwalt Stolle erklärt dazu:

"Das Mantra, dass man nicht gegen Ausländer sei, nur gegen eine ausländerfreundliche Politik, ist durch die Praxis der Neonazis in Deutschland mehr als widerlegt. Wenn Wohlleben meint, dass er damit durchkommt, stellt sich die Frage, warum er diese Erklärung nicht am Beginn der Verhandlung abgegeben hat."

 

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