Angeblich verschwundene VS-Akten wieder aufgetaucht? Ein Mitarbeiter des Thüringer Verfassungsschutzes berichtet von der Führung des V-Mannes "Hagel".

Pressemitteilung der Nebenklägervertreter Rechtsanwälte Sebastian Scharmer und Rechtsanwalt Peer Stolle

Heute wurde der ehemalige Mitarbeiter des Landesamtes für Verfassungsschutz Thüringen, Jürgen Zweigert, vernommen. Er war in den 1990er Jahren V-Mann-Führer von Marcel Degner. Degner, geführt unter dem Decknamen "Hagel" und bekannt unter dem Spitznamen "Riese", war damals Sektionschef von Blood&Honour Thüringen und Kassenwart der Division Deutschland von Blood&Honour. Am Rande der Vernehmung des Zeugen tauchten geschreddert geglaubte Akten auf.

Der Zeuge Zweigert berichtete zunächst, dass er den V-Mann 1997 von Herrn Wießner, einen anderem V-Mann-Führer des Thüringer Verfassungsschutzes, übernommen habe. Im Vertretungsfalle sei die Quelle von den Kollegen Neisen und Wießner betreut worden. Die Treffen hätten einmal die Woche stattgefunden. Als Gegenleistung habe die Quelle Prämien bekommen. Eine Prämie habe so um die 400 DM betragen. Die wurde bei jedem Treffen an den V-Mann gezahlt. Ihm seien auch seine Auslagen erstattet worden. Zu den Auslagen hätte auch Spenden gehört; einmal sei es auch um eine Spendensammlung für die Mutter eines Rechten, der umgekommen ist, gegangen. Dafür habe die Quelle auch gespendet; die ihm dadurch entstandenen Auslagen seien dem V-Mann durch das Landesamt erstattet worden.

Der V-Mann Marcel Degner, von dessen Führung der Zeuge berichtete, wurde schon in der hiesigen Hauptverhandlung vernommen, wobei er auch auf mehrmaliges Nachfragen und trotz Verlesen einer Aussagegenehmigung des Thüringer Verfassungsschutzes eine Tätigkeit als V-Mann für den VS abgestritten hat.

Der Zeuge berichtet weiter, dass, nachdem der V-Mann anfangs zurückhaltend gewesen sei, er dann "offen" berichtet habe. Die Quelle sei "zuverlässig" gewesen; alles, was er gesagt habe, habe der Wahrheit entsprochen. Dies sei ihm von der Auswertungsabteilung mitgeteilt worden. Geführt habe er ihn bis ins Jahr 2000. Die Quelle habe damals eigenmächtig gehandelt, indem sie - ohne Absprache mit dem Verfassungsschutz - gegen das Verbot von Blood&Honour geklagt habe. Daraufhin sei er abgeschaltet worden, so der Zeuge.

Zur Vorbereitung auf die heutige Vernehmung habe er seine eigenen Deckblattmeldungen eingesehen, da sei nichts in Bezug zu dem Trio vermerkt gewesen. Auf konkrete Nachfrage einer Nebenklagevertreterin äußerte der Zeuge, dass es sich dabei um Kopien der ursprünglich von ihm gefertigten ca. 100 Deckblattmeldungen gehandelt habe, die ihm von einem jetzigen Mitarbeiter des Thüringer Verfassungsschutzes zur Verfügung gestellt worden seien. Brisant daran ist, dass angeblich diese Akten geschreddert worden sein sollen. Dem Thüringer Untersuchungsausschuss wurden sie mit dieser Begründung nicht zur Verfügung gestellt.

Der Zeuge berichtete auf Frage des Vorsitzenden weiter, dass nur am Anfang der Auftrag gekommen sei, alle Quellen nach dem Trio zu befragen. Das habe er gemacht; die Quelle habe abgestritten, die Drei gekannt zu haben, aus Jena habe "Hagel" nur Ralf Wohlleben und André Kapke gekannt. Danach sei das Trio nicht mehr Thema gewesen. Das Thema Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe habe aber der Kollege Wießner besprochen. Der Zeuge habe den Eindruck gehabt, dass Herr Wießner den Auftrag vom Präsidenten des Landesamtes für Verfassungsschutz bekommen habe, sich um das Thema der Untergetauchten zu kümmern. Genauere Erinnerungen habe er daran nicht mehr, das sei so ein Eindruck gewesen, auch weil Herr Wunderlich von der Zielfahndung immer mal bei Wießner gewesen sei und Wießner auch öfter in Jena gewesen sei. Der Kollege Wießner habe ihm auch letztes Jahr erzählt, dass er für das Trio zuständig gewesen sei.

Der Zeuge sagte weiter aus, dass so hoch wie heute sei das Thema damals nicht aufgehangen gewesen. Keiner habe verstanden, warum die damals abgetaucht sind. Er sei in diesem Thema nicht involviert gewesen. Ihm gegenüber habe der V-Mann auch gesagt, dass er die Drei nicht kennen würde.

Der Quelle sei weiterhin gesagt worden, er solle sich aus kriminellen Aktivitäten heraushalten. Sollte er dennoch mit der Polizei in Kontakt kommen, sollte er seine Tätigkeit für den Verfassungsschutz nicht kundtun.

Auf Vorhalt seiner Vernehmung vor dem Thüringer Untersuchungsausschuss, in der er gesagt habe, er sei als V-Mann-Führer nie auf die drei Flüchtigen angesprochen worden und er habe auch nie die Quelle "Hagel" nach dem Trio gefragt, antwortete er, dass er jetzt eine bessere Erinnerung habe, weil er sich zwischendurch "belesen" habe. Schriftliches dazu habe es aber nicht gegeben. Den Widerspruch zwischen den Aussagen könne er nicht aufklären, vielleicht seien die Fragen damals missverständlich gewesen. Eine Erklärung dafür könne er nicht geben.

In Bezug auf die Rolle seines V-Mannes als Kassenwart von Blood&Honour gefragt, antwortete der Zeuge, dass ihm seitens der Auswertung nie die Anweisung gegeben wurde, nach den Ein- und Ausgaben der Division Deutschland zu fragen, "das hatte in der Abteilung niemand interessiert," die Quelle habe darüber von sich aus auch nicht berichtet. Auf Vorhalt einer Nebenklagevertreterin, dass in den Akten ein Bericht des V-Mannes Tino Brandt an seinen V-Mann-Führer Wießner existiere, aus denen sich ergebe, dass "Riese", also Marcel Degner, für die Untergetauchten 1000 DM gespendet haben soll, äußerte der Zeuge, dass ihm dieser Sachverhalt heute das erste Mal bekannt geworden sei. Dem Zeuge sei auch noch in Erinnerung, dass Degner bei einem Treffen der sächsischen Sektion von Blood&Honour in Wilsdruff gewesen sei.

Rechtsterrorismus sei gar nicht Thema in den Gesprächen mit der Quelle gewesen; Gewalttätigkeiten aus der Szene nur gelegentlich, wenn es mal Auswüchse aus der Skinheadszene im Zusammenhang mit übermäßigen Alkoholkonsum gegeben habe.

Zum Schluss wurde der Entlassung des Zeugen durch Vertreter der Nebenklage widersprochen, da zunächst die Deckblattmeldungen, die dem Zeugen zur Vorbereitung zur Verfügung standen, beigezogen werden müssten, um anhand derer die Glaubhaftigkeit der Aussagen des Zeugen nachvollziehen zu können.

Rechtsanwalt Stolle erklärt dazu: "Dem Untersuchungsausschuss und allen anderen Stellen wurden erklärt, die Akten zu dem V-Mann Degner seien vernichtet worden und könnten daher nicht zur Verfügung gestellt werden. Nunmehr erklärt sein ehemaliger V-Mann-Führer, dass er beim Landesamt für Verfassungsschutz Kopien der Original-Deckblattmeldungen einsehen konnte. Ein weiteres Puzzle in der endlosen Geschichte von Lügen, Halbwahrheiten und Vertuschungen seitens der Verfassungsschutzbehörden. Die Deckblattmeldungen sind jetzt vollständig dem Senat und den Verfahrensbeteiligten zur Verfügung zu stellen."

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