Beate Zschäpe als kinder- und tierliebe WG Bewohnerin - der NSU nur eine Kleinstgruppe von Serientätern ohne terroristische Motive: Rechtsanwältin Sturm beendet ihr Plädoyer

Rechtsanwältin Sturm begann ihr Plädoyer bereits am 13. Juni 2018, musste dies aber wegen einer Erkrankung mehrfach unterbrechen. Sie redete zu drei Punkten: zur Person Zschäpe, dem Vorwurf einer mitgliedschaftlichen Betätigung im NSU und zur Frage der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung.

 

Ihr Plädoyer begann Rechtsanwältin Sturm mit allgemeinen Ausführungen, um sodann eine Vielzahl von in der Hauptverhandlung über Zschäpe thematisierten persönlichen Umstände – von der Geburt, den ersten Jahren, Schul- und Lehrausbildung bis in die Pubertät - zu referieren. Sie tat dies, obwohl Zschäpe mehrmals beantragt hatte, Rechtsanwältin Sturm als Pflichtverteidigerin zu entpflichten und sie seit drei Jahren kein Wort mit ihr spricht. Warum überhaupt diese persönlichen Anmerkungen gemacht worden sind, erschloss sich im weiteren Verlauf des Plädoyers nicht.

 

Richtigerweise wies RA‘in Sturm daraufhin, dass sie – wie sämtliche Senatsmitglieder und Vertreter des Generalbundesanwaltes – nur schwer als westdeutsch Sozialisierte nachvollziehen kann, wie die Lebensumstände als Jugendliche im Osten Ende der 1980er/Anfang der 1990er Jahre waren. Dessen ungeachtet verstieg sie sich dazu, die Entstehung einer rechtsextremistischen Gesinnung und deren aktionistische Umsetzung mit einem antifaschistischen Selbstverständnis der DDR und der entsprechenden Erinnerungskultur zu erklären. Da es in der DDR flächendeckend antifaschistische Denk- und Mahnmale gegeben habe, sei es – so Sturm - nachzuvollziehen, wenn man diese nach Ende der DDR geschändet und besprüht habe. Auch das provokative Auftreten im KZ Buchenwald in SS-Uniformen erkläre sich vermeintlich aus der Bedeutung der Selbstbefreiung von Buchenwald für die DDR-Geschichtsschreibung. Sie regte dazu an, ein Sachverständigengutachten zur antifaschistischen Erinnerungskultur in der DDR einzuholen. Warum rechte Jugendliche aus dem Osten ihre Abneigung gegenüber der DDR sechs Jahre nach deren Untergang durch Schändung etwa einer KZ Gedenkstelle zum Ausdruck bringen sollten, wird das Geheimnis von Rechtsanwältin Sturm bleiben.

 

Das Plädoyer setzte sich am 19. Juni 2018 fort mit der Thematisierung einzelner Zeugenaussagen, ohne dass darin eine klare Linie erkennbar gewesen wäre. Sturm setzt damit die Strategie ihrer Mitverteidiger Stahl und Heer fort, sich kleinteilig mit einzelnen herausgegriffenen Beweismitteln auseinandersetzen – was an sich zwar notwendig, aber nicht ausreichend ist -, dabei aber die Besonderheit des Falls auszublenden. So führt sie relativ langatmig aus, dass Zeugen berichtet hätten, es sei normal gewesen, sich in der damaligen Zeit mit Messern und CS-Gas zu bewaffnen und „Konflikte mit Linken“ auszutragen, dies aber nichts über die Angeklagte Zschäpe aussage. Dabei blendet sie wiederum aus, dass Zschäpe eine Werkstatt angemietet hat, in der zünd- und einsatzfähige Rohrbomben von Mundlos und Böhnhardt hergestellt wurden.

 

Zusammenhangslos referierte Rechtsanwältin Sturm weitere Aussagen von Zeugen zu der Liebe von Zschäpe zu Kindern und Katzen und den Umstand, dass Zschäpe ihre Katzen wie ihre eigenen Kinder geliebt habe. Welche Bedeutung diese Ausführungen für den Tatvorwurf gehabt haben sollen, blieb im Dunkeln.

Scheinbar soll mit dem tendenziösen Auseinandersezieren einzelner Zeugenaussagen belegt werden, dass Zschäpe vielleicht eine nicht fundierte rechte Gesinnung gehabt habe, in der Szene und im Untergrund nur aus persönlicher Verbundenheit zu Mundlos und Böhnhardt geblieben sei. Zschäpe habe – so Rechtsanwältin Sturm als conclusio – keine eigene Bomberjacke gehabt und keine Szenefrisur getragen. Es habe keinen exklusiven Dreierbund gegeben.

 

Rechtsanwalt Dr. Stolle erklärt dazu:

Das Plädoyer macht deutlich, dass sich Rechtsanwältin Sturm auch nach über sechs Jahren Mandatsverhältnis und über fünf Jahren Hauptverhandlung keine Vorstellung von der Situation in den 1990er Jahren in Ostdeutschland und speziell in Thüringen bzw. Jena gemacht hat. Die Gründe für eine Zugehörigkeit in der rechten Szene wird mit dem DDR-Antifaschismus und einer Zuneigung zu zwei Männern erklärt. Nichts zu den auch damals weit verbreiteten rassistischen und nationalsozialistischen Vorstellungen, nichts zu dem Anteil rechter Strategen aus dem Westen, die Aufbauhilfe geleistet haben, kaum etwas zu der weit verbreiteten rassistischen und nationalistischen Stimmung, die sich im Osten Deutschland nach dem Mauerfall breit machte und erst recht nichts, zu den tödlichen Konsequenzen dieser Pogromstimmung Anfang der 1990er Jahre.

Dass sich Zschäpe nur aus persönlicher Verbundenheit zu Mundlos und Böhnhardt kontinuierlich in einer extrem rechten Szene erst in Thüringen, später in Chemnitz und Zwickau aufgehalten haben soll, in einer Szene, die sich zunehmend organisierte, professionalisierte und radikalisierte, in deren direktem Umfeld Bombenattrappen und später einsatzfähige Rohrbomben gebaut wurden und später Unterstützung der extrem militanten Blood&Honour-Szene bekam, ist vollkommen unglaubhaft.“

 

Exemplarisch für die verquere Darstellung war die Behauptung von Rechtsanwältin Sturm, das in der Szene virulente Thema der Gewaltanwendung und der Gewaltbereitschaft habe sich nur auf die Auseinandersetzung mit Linken bezogen. Konkrete Vorstellungen, politische Inhalte mittels Gewalt umzusetzen, habe es nicht gegeben. Überhaupt habe es kaum politische Vorstellungen gegeben, die über das Beklagen der eigenen misslichen Situation hinausgegangen seien. Sämtliche Beweismittel, die den mörderischen Rassismus der damaligen Szene thematisierten, mehr als eindeutige Flugblätter und Fanzines, in denen von Zellenbildung und bewaffneten Kampf gesprochen wurde, die Videos, die Mitglieder der Thüringer Szene bewaffnet beim Häuserkampf zeigen, die Vielzahl der Zeugenaussagen, die nicht (nur) von einer rechten Szene sprachen, sondern von einer straff organisierten Nazi-Szene, werden dabei ausgeblendet.

 

Am 20.062018 setze Sturm ihr Plädoyer mit der These fort, Zschäpe sei nicht Mitglied einer Terrorzelle, sondern allein Mitglied in einer WG gewesen. Terrorismus sei ein Kampfbegriff, etwas etwas „was immer nur die Bösen tun“ würden. Wenig überraschend meinte Sturm, dass der NSU allenfalls aus Mundlos und Böhnhardt bestanden habe. Eine terroristische Vereinigung nach § 129a StGB liege daher genauso wenig, wie eine kriminelle Vereinigung nach § 129 StGB vor, weil dafür mindestens drei Mitgleider erforderlich wären. Sturm argumentierte außerdem, dass der Begriff Terrorismus beliebig und inflationär sei und verwies auf die unterschiedliche Einstufung von Kämpfern in Syrien.

 

Nachdem wegen Kopfschmerzen des Angeklagten Eminger die Hauptverhandlung unterbrochen werden musste, setzte Sturm ihr Plädoyer am 21.06.2018 fort. Langatmig und in sehr langsamer Vortragsweise beschäftigte sie sich weiter mit dem Begriff des Terrorismus. Sie stellte den Begriff in den Kontext verschiedener EU-Richtlinien und versuchte damit zu erklären, dass der Maßstab des deutschen Strafrechts aus § 129a StGB im Lichte dieser Europäischen Definition festzulegen sei. Selbst wenn man das aber machen würde, bleibt vollkommen offen, warum dann die Vereinigung NSU, die bewusst Morde und Anschläge verübte, um damit nach dem eigenen Bekennervideo einen gesellschaftlichen Umsturz in ein faschistisches Regime herbeizuführen, keine Terrororganisation sein soll. Denn auch nach der europarechtlichen Definition von Terrorismus, erfüllt der NSU sämtliche dort benannten Kriterien. Das Plädoyer versuchte sich insoweit in einer umfangreichen juristischen Fachdiskussion – allerdings einer Scheindiskussion losgelöst vom Ergebnis der Beweisaufnahme. Sturm verstieg sich sogar in die Behauptung, Terrorismus liege nicht vor, weil die Betroffenen letztlich Opfer staatlicher Verfolgung gewesen sind, was dem NSU nicht zuzurechnen wäre. Außerdem sei es „nur“ um die Einschüchterung von „Bevölkerungsteilen“ und nicht um eine Erschütterung des Systems gegangen.

 

Rechtsanwalt Scharmer erklärt dazu:

Wenn man die Argumente von Sturm weiterdenkt, heißt das: Wenn eine Tätergruppe aus einer rassistischen Motivation heraus organisiert und serienmäßig Migranten - ggf. erst mit einem späteren öffentlichen Bekenntnis verbunden - ermorden will, handelt sie nicht aus einer terroristischen Motivation. Neben der generellen Absurdität dieser Argumentation, spricht Sturm damit Menschen mit Migrationshintergrund ab, zur Gemeinschaft zu gehören. Sie hat außerdem nicht verstanden, dass die terroristische Botschaft des NSU bei den Betroffenen von Anfang an angekommen ist, Angst, Schrecken und Hilflosigkeit verursacht hat.

Richtig ist stattdessen: Wer aus rassistischem Hass heraus Morde und Anschläge begeht, trifft uns alle, trifft die gesamte Bevölkerung, negiert jegliches Verständnis von Menschenwürde. Genau das wollte der NSU auch. Ein Blick in das von Zschäpes versandte Bekennervideos des NSU hätte daher vielleicht ein paar Stunden Vortrag erspart. Dort heißt es als Selbstbekenntnis:

Der Nationalsozialistische Untergrund ist ein Netzwerk von Kameraden mit dem Grundsatz - Taten statt Worte -. Solange sich keine grundlegenden Änderungen in der Politik, Presse und Meinungsfreiheit vollziehen werden die Aktivitäten weitergeführt.“

Danach bekennt sich der NSU zu 10 Morden, 9 davon begangen mit derselben Signaturwaffe, und zwei Bombenanschlägen: eindeutig eine terroristische Vereinigung nach jeder juristischen Definition. Rechtsanwältin Sturm bagatellisiert nicht nur die politische Motivation der Morde und Anschläge, sie definiert dazu zumindest indirekt Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland als Opfer 2. Klasse, sie seien als „Bevölkerungsteil“ nach dem Gesetz kein „geeignetes Schutzgut“ bei terroristischen Anschlägen. Das wird auch nicht dadurch weniger kritikwürdig, weil RA'in Sturm meint, dass es eine „rein juristische“ Argumentation sei.“

 

Danach plädierte Sturm zur Frage der Rechtsfolge der Sicherungsverwahrung. Wenig überraschend meint sie, dass schon die formellen Voraussetzungen dafür nicht gegeben seien, weil Zschäpe die Morde und Anschläge nach ihrer Ansicht nicht begangen habe. Damit hätte sie enden können, ging nun aber noch breit auf die unterschiedliche Würdigung der Persönlichkeit von Zschäpe durch den Generalbundesanwalt und Sachverständigen Prof. Dr. Saß einerseits und die durch die Verteidigung andererseits ein. Sie ging dann auf eher formelle aus ihrer Sicht bestehenden Fehler das Gutachtens von Prof. Dr. Saß ein. Die eigentliche Kernfrage, ob aktuell noch eine Gefährlichkeit von Zschäpe vorliegt und, ob die Sicherungsverwahrung neben einer ggf. erfolgenden lebenslangen Freiheitsstrafe überhaupt verhältnismäßig ist - was man beides tatsächlich sehr kritisch sehen kann - wurde allenfalls am Rande gestriffen.

 

Das Plädoyer endete am frühen Nachmittag. Danach wurden noch die von den Altverteidigern während des Plädoyers gestellten Beweis- bzw. Hilfsbeweisanträge kopiert und die Möglichkeit zur Stellungnahme gegeben. Zum weiteren Procerde kündigte der Vorsitzende Richter Götzl an, dass der Brandsachverständige aus Zwickau nächsten Dienstag noch kurz ergänzend gehört werden soll. Danach wird sich das weitere Vorgehen bis zum Urteil ergeben.

 

Das Urteil ist damit greifbar näher gerückt. Sobald der Termin endgültig feststeht, werden wir an dieser Stelle sofort darüber informieren.

 

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