Der Generalbundesanwalt beginnt mit seinem Plädoyer:

 

Der Generalbundesanwalt beginnt mit seinem Plädoyer:

Der NSU als singuläres Phänomen - die Anklage ist zutreffend, alles andere seien haltlose Spekulationen, ein "Fliegengesurre in den Ohren"

 

Heute wurde nun nach vorangehendem kurzen Störfeuer der Verteidigung tatsächlich mit den Plädoyers begonnen.

Das Ende der Beweisaufnahme war abzusehen. Nachdem der Vorsitzende letzten Mittwoch überraschend bekannt gegeben hatte, dass mit den Plädoyers begonnen werden sollte, konnten viele der Verletzten und Hinterbliebenen des NSU-Terrors auch heute den kurzfristig geplanten Beginn der Schlussvorträge der Anklage nicht verfolgen. Andere der Nebenklägerinnen und Nebenkläger haben sich bewusst dazu entschieden, der beschränkten Sicht des Generalbundesanwalts nicht zuhören zu wollen. Die Anklagebehörde hatte sich über den gesamten Prozessverlauf gegen ihre berechtigten Aufklärungsbemühungen gestellt. Akteneinsicht in wesentliche Verfahrensteile wird abgelehnt, Informationen wurden und werden zurück gehalten. Die drängenden Fragen, wie die Opfer konkret ausgewählt wurden, wie groß das Netzwerk des NSU war, wer bei den Morden und Anschlägen geholfen hat und welche Behörden die Taten trotz Möglichkeiten nicht verhindert haben, werden vom Generalbundeswalt als nicht verfahrensrelevant eingestuft. Der NSU wurde als eine isolierte Zelle mit wenigen Unterstützern - als ein schwer erkennbares Einzelphänomen dargestellt. Das steht unserer Einschätzung nach über 374 Hauptverhandlungstagen, den Ergebnissen aller Untersuchungsausschüsse, und vor allem den berechtigten Interessen der Hinterbliebenen und Verletzten des NSU-Terrors diametral entgegen.

 

So verwunderte es nicht, dass Bundesanwalt Dr. Diemer mit genau dieser Argumentation die Schlussvorträge der Anklage eröffnete.

Es sei nicht Aufgabe dieses Strafprozesses gewesen, weitere Tatbeteiligte zu ermitteln oder politische Verantwortlichkeiten zu klären. Wer etwas anderes behaupte, "verunsichere" die Opfer und die Bevölkerung. Die Anklage habe sich in vollem Umfang bestätigt. Motiv sei eine widerwärtige rechtsextremistische Ideologie gewesen. "Bürger ausländischer Herkunft" sollten davon abgehalten werden, nach Deutschland zu kommen oder zu bleiben. Nicht die Opferpersönlichkeit als solche, sondern allein ihre Herkunft sei für ihre Auswahl maßgeblich gewesen. Die Polizeibeamten Michéle Kiesewetter und Martin A. sollten als "verhasste Repräsentanten" des Staates sterben. Es sei ein Angriff auf unseren Staat gewesen. Alles andere seien unhaltbare Spekulationen, "Fliegengesurre in den Ohren". Wer so etwas behaupte, würde die Beweisaufnahme in diesem Prozess nicht beachten. Die verantwortlichen Personen für die Taten würden hier auf diesen Bänken sitzen. Es seien diese 5 Angeklagten.

 

Oberstaatsanwältin Greger fügte zunächst hinzu, dass "zwei erfolglose Narzissten" und die "Tochter zweier Zahnärzte" 13 Jahre das Land terrorisiert hätten. Niemand sei vor ihnen sicher gewesen: "kein Migrant und kein Polizeibeamter". Die Einlassung von Frau Zschäpe sei haltlos, "verniedlichend und beschönigend". Vertan sei zudem die Chance, dass die Nebenklägerinnen und Nebenkläger von Beate Zschäpe Antworten auf ihre Fragen bekommen würden. Zschäpe habe um jeden Preis gewollt, dass Mundlos und Böhnhardt die Taten unentdeckt und unversehrt begehen konnten. Ohne Rücksicht auf Menschenleben habe sie nach deren Suizid die gemeinsam genutzte Wohnung in Brand gesetzt. Bereits seit dem Jahr 1996 habe sich Zschäpe selbstbewusst in der rechtsextremistischen Gruppe organisiert. Das setzte sie auch dem Suizid von Mundlos und Böhnhardt fort, indem sie beispielsweise lieber ihre Katzen auf der Strasse zurückließ, als auf den Versand des gemeinsamen Bekennervideos zu verzichten. Im Einzelnen ging Oberstaatsanwältin Greger nun auf die einzlnenen zahlreichen Zeugenaussagen zur Persönlichkeit von Zschäpe und ihrer uneingeschränkten Integration in die rechtsextremistische Szene ein.

Ihr Vortrag wird am Nachmittag fortgesetzt werden.

 

Rechtsanwalt Scharmer erklärt zum aktuellen Stand des Plädoyers des Generalbundesanwalts:

"Der Generalbundesanwalt hält die Angeklagten für schuldig im Sinne der Anklage. Gleichzeitig versucht er aber jegliche staatliche Mitverantwortung aus dem Verfahren herauszuhalten und den NSU als Einzelphänomen darzustellen. Dadaurch wird nur eine eng begrenzte kleine Gruppe verurteilt. Ich gehe nicht davon aus, dass der Generalbundesanwalt auch nur ansatzweise Bemühungen unternimmt, um weitere Tatbeteiligte zu emitteln und zur Verantwortung zu ziehen. Er will einen Schlusstrich unter den Komplex NSU ziehen. Damit bricht er mit mit dem Aufklärungsversprechen, welches insbesondere die Bundeskanzlerin persönlich gegeben hatte. Das Problem des Rechtsterrorismus insgesamt wird verharmlost, Verfassungsschutzämter und letztlich auch die eigene Behörde aus der Kritik genommen, strukturell rassistische Ermittlungen im Nachhinein letztlich als gerechtfertigt dargestellt. Gamze Kubasik empfindet das als weiteren schweren Schlag. Das Aufklärungsversprechen ist gebrochen. Das Vertrauen in die Arbeit der Ermittlungsbehörden ist zerstört. Der Generalbundesanwalt hat alles dafür getan, dass das so bleibt."

 

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