Der Verfassungsschutz Hessen will sich auf Bitten der Polizei aus den Ermittlungen rausgehalten haben – die Unterlagen der Polizei belegen jedoch vielmehr, dass er jede maßgebliche Kooperation zur Aufdeckung der Taten verhindert hat.

Zunächst stellte der Kollege Narin, Nebenklagevertreter im Fall Boulgarides, einen Beweisantrag, eine weitere Mitarbeiterin des Landesamtes für Verfassungsschutz Hessen zu hören, nämlich Frau Dr. P. aus Wiesbaden. Diese war 2006 unmittelbare Vorgesetzte des Zeugen Andreas T. Der Beweisantrag gibt an, dass Dr. P. bereits am 24.03.2006, also ca. 2 Wochen vor den Morden in Dortmund und Kassel, einen Rechercheauftrag zu den bisherigen Fällen der Mordserie an die Mitarbeiter des Landesamtes für Verfassungsschutz gab. Wenn dies stimmen sollte, wären die Angaben von Andreas T., er habe bis zur Thematiserung der Mordserie in der Presse, davon nichts gewußt, gelogen.

Danach begann die Vernehmung von Lutz Irrgang, dem damaligen Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz in Hessen. Inzwischen ist der 69jährige Jurist pensoniert. Er sei zum Tattag im Osterurlaub gewesen. Nach seiner Rückkehr habe er nichts über das Ereignis in Kassel erfahren. Erst eine Woche nach Urlaubsrückkehr bekam er Freitags abends einen Anruf, dass Andreas T. unter Mordverdacht stehe. Man brauche dringend Unterlagen. Der Polizeipräsident rief an. Er habe dann am Samstag die angeforderten Unterlagen zusammen gestellt und direkt weiter gegeben. Er habe sich auf die ganze Sache keinen Reim machen können. Der Landespolozeipräsident habe ihn gebeten, dass sich seine Behörde aus der Sache raushalten soll. Der Dienstbetrieb habe jedoch aufrecht erhalten müssen. Man habe Quellenübergaben machen müssen, etc. Seine Behörde habe die Polizei mit „technischen Maßnahmen“ unterstützt. Das habe aber das Sicherheitsreferat gemacht. Nachdem Andreas T. aus der U-Haft entlassen wurde, hat Irrgang ihn daraum gebeten, eine dienstliche Erklärung abzugeben. Er hätte nur noch einmal mit T. persönlich Kontakt gehabt. Dabei wurde ihm die Suspendierung bis auf Weiters ausgehändigt. Dabei habe er T. gesagt, wenn er noch irgendetwas zu sagen hätte, sei das jetzt der letzte Zeitpunkt. Andreas T. meinte nur, dass er nichts weiter zu sagen habe.

Das Sicherheitsreferat sei zu T. rausgefahren, um die dienstliche Erklärung einzuholen. Diese war so, wie er das heute über T. in der Zeitung gelesen. Was genau in dieser Erklärung stand, wisse er nicht mehr. Er habe darin acuh heute keinen Einblick mehr. Er wisse noch, dass Andreas T. die Sache bedauert habe. Das habe sich aber „mehr im Abstrakten“ bewegt. Mit dem Leiter der Außenstelle Kassel habe der Zeuge angeblich nie über die Sache Andreas T. gesprochen. Auf Vorhalt von entsprechenden Telefonüberwachungsprotokollen, die von Aussagen T.'s gegenüber ihm, die „weniger restriktiv“ als gegenüber der Polizei gewesen sein sollen, blieb der Zeuge dabei, dass er mit Andreas T. keinen weiteren Kontakt gehabt habe. Für die Behörde war es eine riesen Aufregung und ein riesen Aufwand. Es sei ja unglaublich viel zu tun gewesen. Er sei heute noch stolz darauf, „wie ruhig und gelassen“ seine Dienststelle mit der Sache umgegangen wäre und die Geschäfte weiter geführt hätte.

Mit der ganzen Sache sei das Sicherheitsreferat, mit dem Leiter Regierungsdirektor H., beschäftigt gewesen. Man habe die ganze Sache ja auch klären wollen. Er selbst habe weder unmittelbar noch mittelbar über andere Mitarbeiter keinerlei Informationen dazu bekommen, was T. zum 06.04.2014 gesagt habe. Vor der ganzen Geschichte habe er T. auch persönlich gekannt, es sei ja eine eher kleinere Behörde gewesen. Sein Vorgänger habe die Idee gehabt, überzählige Postbeamte einzustellen. Das wäre seiner Meinung keine gute Akquiseidee gewesen. T. wäre aber fleißig gewesen und habe auch seine Qualifikation zu gehobenen Dienst mit gutem Ergebnis abgeschlossen. T. sollte in Nordhessen arbeiten, weil er „landsmannschaftlich“ dort integriert war und mit der Bevölkerung zurecht kam. Er habe mit ihm auch „über seine Heimat“ gesprochen.

Im Sommer 2006 hätten ihn die Ermittlungsbeamte angerufen, wollten ein Gespräch. Es gab aber keine Zusage, dass der Polizeipräsident selbst und ein Staatsanwalt persönlich dabei wären. Daher habe er das Gespräch abgelehnt. Eine Woche später sei in der Presse bekannt geworden, dass Andreas T. Verfassungsschützer war. Dann hätten eine Reihe von parlamentarischen Aktivitäten stattgefunden. Er wäre vom Generalstaatsanwalt eingeladen worde. Dem wäre er „natürlich sofort gefolgt.“ Man habe sich darauf geeinigt, dass Fragen schriftlich gestellt werden sollen. Die Ermittler wollten die Quellen wissen. Die hätten sie aber nicht preisgegeben.

Mit Entlassung von T. aus der U-Haft galt für Irrgang „uneingeschränkt“ die Unschuldsvermutung. Seine Behörde habe sich nach der Absprache mit dem Polizeipräsidenten, „restlos zurückgehalten“. Deswegen habe er auch keine Informationen gehabt. Sie wären vielmehr damit beschäftigt gewesen, ihre Quellen zu retten und diese nicht zu verunsichern. Auf nachhaltige Fragen des Vorsitzenden erklärte Irrgang wiederholt, dass er über den 06.04.2014 keine Informationen bekommen hat. Er sei am 06.04.2014 im Urlaub gewesen, danach habe er nichts weiter erfahren.

Die Sicherheitsabteilung des Verfassungsschutzes ging von der Unschuld von Andreas T. aus. Er habe nur sehr wenig Einzelheiten erfahren. Diese Abteilung hatte eine gewisse Selbständigkeit innerhalb des Verfassungsschutzes. Bei der Durchsuchung der Außenstelle hatte man bei T. auch Munition gefunden, wofür er auch zur Verantwortung gezogen worden sei. Er habe die Auskunft bekommen, dass Andreas T. oft in dem Internetcafé gewesen. Er habe keine internen Ermittlungen dazu anstellen lassen, ob es dienstliche Bezüge von T. zu dem Mord geben kann.

Die Beobachtung des Rechtsextremismus hätte ihm immer „besonders am Herzen“ gelegen, deswegen seien die Ergenisse in Kassel für ihn auch mit einer „gewissen Tragik“ verbunden. Er habe „gespürt“, dass es zunehmend zu einem Dissenz mit den Ermittlungsbehörden gekommen ist. Das sei aber so nicht mit ihm nicht ausdrücklich besprochenen worden. Ein Gespräch mit Polizeibediensteten oder Staatsanwälten ohne den Landespolizeipräsidenten habe Irrgang abgelehnt, weil das nicht „ebenenadäuquat“ gewesen wäre.

Im Landesamt für Verfassungsschutz konnte er sich auf seine Vernehmung im Untersuchungsausschuss vorbereiten. Dort habe er auch handschriftliche Vermerke von ihm selbst noch einmal lesen können. Er hatte sich auch selbst noch einmal die Ereignisse zusammengefasst, wie einen Terminkalender. Es kann sein, dass etwas stichpunktartig von seiner Behörde zur Vorbereitung des Termins vorbereitet war.

Als Irrgang davon erfuhr, dass die Anwesenheit von Andreas T. als Verfassungsschützer, öffentlich gemacht wurde, vermerkte er, dass er der Auffassung sei, dass dadurch die Aufklärung des Falls um Jahre zurück geworfen werde. Auf der Abteilungsleiterebene hätten sie das umfrangreich diskutiert.

Benjamin G., den von T. geführten V-Mann im Bereich rechts, hat er vom MAD übernommen. Er machte als Quelle einen sehr soliden Eindruck. Benjamin G. sollte Informationen aus dem rechtsextremistischen Breich bringen, war dann aber eher im nationalkonservativen Lager unterwegs.

Auf Nachfrage erklärte der Zeuge Irrgang, dass der spätere Mitarbeiter des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz, Herr W., der V-Mann Führer unter anderem von Tino Brandt, auch in Hessen tätig gewesen ist. Weitere Fragen dazu wurden auf Einwand der Verteidigung von Zschäpe nicht zugelassen, weil Herr Irrgang damit Dienstgeheimnisse verletzen würde.

Rechtsanwalt Scharmer erklärt dazu:

“Die widersprüchlichen Aussagen des Zeugen Irrgang sprechen für sich. Es ist unglaublich, dass dem Verfassungsschutz der Bestand seiner Quellen wichtiger war, als die Aufklärung in einer bundesweiten Mordserie. Allein das demonstriert, dass die Verfassungsschutzbehörden in ihrer heutigen Art abgeschaft gehören.

Bemerkenswert ist im Übrigen auch, dass gerade die Verteidigung von Zschäpe nun schon mehrfach verhindert hat, dass ehemalige Verfassungsschützer oder V-Personen weiterführende Angaben machen. Über die Hintergründe dieses Vorgehens der Verteidigung kann nur spekuliert werden.“

Im Anschluss wurde die Vernehmung von Andreas T. fortgesetzt. Er erklärte, dass er auf der Videorekonstruktion zu sehen sei und der Ablauf auch zeitlich mit seiner Erinnerung übereinstimme. An einen Besuch des BKA in Kassel vor der Tat könne er sich nicht erinnern. An eine E-mail von seiner Kollegin Dr. P über die Mordserie vor der Tat in Kassel erinnere er sich ebenfalls nicht. Er sei damals selbst im Schützenverein aktiv gewesen. Mit diesem Verein wäre er auch mal in Tschechien gewesen. Es könne sein, dass sie dort auch da Ceska-Werk oder eine Gießerei besucht hätten und er auch mal mit einer Ceska geschossen hätte. Konkreter wisse er das nicht. Auch auf Vorhalt von gegenteiligen Telefonüberwachungserkenntnissen, meinte er, er habe seiner Frau nicht erzählt, dass er am Tattag in dem Internetcafé gewesen sei.

Weil der Aussenstellenleiter des Verfassungsschutzes in Kassel erkrankt war und nicht gehört werden konnte, wurde der Zeuge Andreas T. auch heute nicht endgültig entlassen. Vielmehr muss geschaut werden, ob im Zusammenhang mit der weiteren Vernehumg noch weitere Widersprüche auftauchen, die nachgefragt werden müssen.

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