Die Temme-Saga des Hessischen Verfassungsschutzes geht weiter.

Presseerklärung der Nebenklägervertreter Rechtsanwalt Sebastian Scharmer und Rechtsanwalt Peer Stolle v. 17. Juni 2015

 

Am heutigen Hauptverhandlungstag wurden drei (ehemalige) Mitarbeiter des Hessischen Verfassungsschutzes gehört. Sie wurden zu Telefonaten, die sie mit dem ehemaligen V-Mann-Führer des Hessischen Verfassungsschutzes, A. Temme, 2006 geführt haben, als dieser als Beschuldigter in dem Mordfall zum Nachteil Halit Yozgat geführt wurde.

Am 4. April 2006 wurde Halit Yozgat in dem von ihm geführten Internetcafé in Kassel von Mitgliedern des NSU erschossen. Anwesend am Tatort war auch der Mitarbeiter des Hessischen Verfassungsschutzes, A. Temme. Dieser hatte sich nach der Tat nicht bei den Ermittlungsbehörden gemeldet. Nachdem seine Identität ermittelt worden ist, wurde er zunächst als Tatverdächtiger in Untersuchungshaft genommen, wenige Zeit später aber wieder entlassen. Die ermittelnden Polizeibeamten haben sich beschwert, dass seitens des Verfassungsschutzes und der Ministerialebene ihre Ermittlungen in Richtung Temme immer wieder blockiert wurden.

Die Nebenklagevertretung der Familie Yozgat hatte u. a. die Vernehmung der heute gehörten Zeugen aus dem Hessischen Landesamt für Verfassungsschutz beantragt, weil sich aus aufgezeichneten Telefongesprächen der Verdacht einer Verfahrenssteuerung durch das Landesamt ergeben haben soll.

Am Beginn der Vernehmung wurden jeweils die Telefonaufzeichnungen angehört. Auffallend an allen Gesprächen war, dass keiner der drei Zeugen Temme, der immerhin unter Mordverdacht stand, fragte, was es mit der Sache überhaupt auf sich hat, warum er sich dort aufhielt und sich nicht bei der Polizei gemeldet hatte. Im Vordergrund standen vielmehr dessen persönliches Befinden, die Versicherung, dass sie ihn unterstützen, und die Sorge um seine persönlichen Belange. Zweifel oder Skepsis wurden nicht geäußert.

Ansonsten waren die Zeugenaussagen durchgehend von behaupteten Erinnerungslücken geprägt. Obwohl es sich um einen einmaligen und außergewöhnlichen Vorgang gehandelt hatte, dass ein Mitarbeiter des Hessischen LfV unter Verdacht stand, die 8. Tat im Rahmen einer bundesweiten Mordserie begangen zu haben und deswegen auch in Untersuchungshaft saß, konnte keiner der Zeugen sich daran erinnern, wer wann was über die Ermittlungen berichtet hat und wie der genaue Kenntnisstand innerhalb der Behörde war. Alles sei doch fast zehn Jahre her. „Natürlich“ und „selbstverständlich“ habe man umfassend die Ermittlungen der Polizei unterstützt.

Aufschlussreich war die Antwort des Abteilungsleiters von A. Temme, der auf die Frage, ob es nicht kurz vor dem Mord einen dienstlichen Auftrag gegeben habe, sich mit der Mordserie zu beschäftigen, äußerte, dass es eine Selbstverständlichkeit gewesen sei, sich als Verfassungsschutzbehörde damit zu beschäftigen, schließlich stand der Themenbereich Rechtsextremismus bei seiner Behörde immer im Vordergrund (Bislang haben alle Sicherheitsbehörden geleugnet, vor der Selbstenttarnung des NSU einen rechtsextremistischen Hintergrund angenommen oder vermutet zu haben).

Der zweite Zeuge wiederum hat geleugnet, dass man von einem rechtsextremistischen Hintergrund ausgegangen sei. Auf die Frage nach geführten V-Männer in der rechten Szene wurden mal wieder die üblichen Verharmlosungsstrategien des Verfassungsschutzes in Bezug auf die Gefahr seitens der extrem rechten Szene manifest. Rechte? Da gab es die NPD, das war keine verbotene Partei. Sonstige Rechte? Da habe es ein paar gegeben, die sich so ein bißchen auf Kirmisfeiern ausgetobt hätten, die Szene sei nicht groß gewesen.

Überraschend war, dass es wohl noch einen zweiten von Temme in der extrem rechten Szene gegeben hat. Wohl versehentlich hat der Zeuge ausgesagt, dass A. Temme „einen weiteren“ V-Mann in der rechten Szene geführt habe. Bisher war nur B.G., der auch schon im Prozess vernommen wurde, bekannt. Auf weitere Fragen nach der Identität des weiteren V-Mannes wich der Zeuge – wie auf alle anderen Fragen auch – aus; er wisse es alles nicht mehr so genau.

Der Komplex Kassel wird am 24. Juni 2015 mit den Einvernahmen eines weiteren Mitarbeiters des Hessischen Verfassungsschutzes und am 30. Juni 2015 mit der von A. Temme und dessen Ehefrau fortgesetzt.

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