Rassistische Gewalt mit tödlicher Dimension

Am Vorgehen der Ermittlungsbehörden hat die Arbeit der Untersuchungsausschüsse bislang wenig geändert

Bernburg (Sachsen-Anhalt), 21.9.2013. Neun größtenteils bullige - der
Schönebecker Neonaziszene zugehörige - Männer feiern, trinken und
versuchen am Bernburger Bahnhof den Betreiber des Döner-Imbisses
umzubringen. Für die Staatsanwaltschaft Magdeburg kein Grund ein
rassistisches Tatmotiv ernsthaft in Betracht zu ziehen.

Die Männer waren anlässlich eines „Junggesellenabschieds“ unterwegs. Am
Bahnhof angekommen, schauten sie auffällig in den Dönerimbiss. Blicke
sagen manchmal mehr als Worte, wird eine Tatzeugin später sagen.
Gemeinsam verließen der Imbissbetreiber und seine Freundin daraufhin den
Laden, um schnell Türen und Fenster zu schließen. Dabei wurde die Frau
bereits u.a. als „Türkenschlampe“ beschimpft. Der Imbissbetreiber griff
darauf einen der Männer am Arm und erklärte ihm, dass man so nicht mit
einer Frau spreche. Als Erwiderung folgten prompt weitere Beleidigungen
und eine Flasche gegen seinen Kopf - direkt ans Auge. Nun gehen die neun
Rechten auf den Mann los, bringen ihn zu Boden und treten letztlich auch
noch als er regungslos auf dem Bahnsteig liegt und sich nicht mal mehr
mit den Händen schützen kann, auf seinen Kopf. Die Tritte, die später
als „stampfend“ von oben auf den Kopf beschrieben werden, werden von
Rufen, wie „ Scheiß Ausländer" und „Scheiß Türke" begleitet. Dass die
Tat mitten auf dem Bahnhof vor potentiellen Zeugen begangen wird,
scheint den Tätern egal. Sie entfernen sich entspannt, nehmen noch ihren
Bierkasten mit. Zurück bleibt regungslos, blutend mit deformiertem Kopf
der Imbissbetreiber mit seiner Freundin, die ebenfalls angegriffen und
verletzt wurde. Er erleidet multiple Schädelbasis- und Gesichtsbrüche
sowie Hirnverletzungen. Es ist nur dem schnellen Rettungseinsatz und der
fachmedizinischen Intensivversorgung zu verdanken, dass er noch lebt und
inzwischen auch wieder aus dem Koma erwacht ist. Welche Hirnschäden
bleiben werden, ist noch unklar.
Man könnte meinen, dass spätestens nach der Selbstenttarnung des NSU und
der Arbeit der Untersuchungsausschüsse inzwischen auch bei Polizei und
Staatsanwaltschaft angekommen ist, dass derartige menschenverachtende
Taten ernst genommen und auch als solche qualifiziert werden müssen.
Weit gefehlt. Zwar hat die die Staatsanwaltschaft relativ zügig
ermittelt und nunmehr Anklage wegen versuchten Totschlags zum
Landgericht Magdeburg erhoben. Die politische Dimension der rechten
Gewalt will sie hingegen nicht sehen. Weil die Männer einen
„Junggesellenabschied“ feierten, sei ein „ausländerfeindliches“ Motiv
nicht belegbar. Dass sich die neun Männer aus der rechten Szene auch
anlässlich einer solchen Feier auf die Suche nach einem Opfer, dass in
ihr Feindbild passt, begeben können, dass sie die Auseinandersetzung
provoziert haben und als sie auf den Kopf des regungslosen türkischen
Opfers stampften, rassistische Parolen riefen, scheinen für die
Staatsanwaltschaft Magdeburg allenfalls nebensächliche Details zu sein.
Die türkische Gemeinde Deutschland hat sich inzwischen mit dem Opfer
solidarisiert. Derartige Taten verunsichern Menschen mit türkischen
Wurzeln in Deutschland zutiefst. Sie sind geeignet, ein Klima der Angst
zu schaffen und das Zusammenleben zwischen den Menschen in Deutschland
nachhaltig zu beeinträchtigen.

Kenan Kolat, der Vorsitzende der türkischen Gemeinde in Deutschland hat
dazu erklärt:
„Der Angriff in Bernburg zeigt uns erneut, dass rassistische Gewalt in
Deutschland ein dauerhaftes und alltägliches Problem ist. Der Fall zeigt
exemplarisch, die potenziell tödliche Dimension rassistischer Gewalt,
mit der wir es Tag für Tag zu tun haben. Daran hat sich auch nach der
unfreiwilligen Selbstenttarnung des NSU nichts geändert. Es bleibt zu
hoffen, dass die rassistische Dimension der Tat vom Landgericht
angemessen gewürdigt wird. Wir müssen endlich erkennen, dass unser
Problem hier Rassismus heißt. Eine gesellschaftliche und politische
Auseinandersetzung mit rassistischen und rechtsextremen Einstellungen in
der Bevölkerung ist erforderlich.“

Rechtsanwalt Sebastian Scharmer vertritt den Betreiber des
Dönerimbisses. Er hat inzwischen die Eröffnung des Verfahrens abweichend
von der Anklage wegen versuchten Mordes aus rassistischen Beweggründen
beantragt. Außerdem verlangt er, dass das Verfahren an die
Bundesanwaltschaft abgegeben und zum Staatschutzsenat des
Oberlandesgerichts angeklagt wird.

Er erklärt dazu:
„Es war eine der Konsequenzen des Abschlussberichts des
Untersuchungsausschusses des deutschen Bundestages, dass derartige Fälle
in Zukunft von der Bundesanwaltschaft übernommen und vor den
Oberlandesgerichten verhandelt werden sollen. Die Hoffnung der Ob-Leute
war dabei, dass die Arbeit der Ermittlungsbehörden professionalisiert
und die Problematik von potentiell tödlicher rechter Gewalt als Delikt
gegen die gesamte Gesellschaft über den Einzelfall hinaus ernst genommen
werden. Der Mordversuch in Bernburg erfüllt alle Kriterien für eine
Übernahme durch den Generalbundesanwalt. Die Magdeburger
Staatsanwaltschaft ist nicht in der Lage oder gewillt, die rassistische
Dimension der Tat als solche zu erkennen.“

Mehrere der Angeschuldigten sind noch auf freiem Fuß. Der Betroffene
will aus Angst vor weiteren Angriffen u.a. deswegen selbst nicht
öffentlich auftreten. Für Rückfragen steht ihnen Rechtsanwalt Sebastian
Scharmer unter scharmer@diefirma.net oder 030/44679218 zur Verfügung.

 

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