Rechtsanwalt Hoffmann hat plädiert

Rechtsanwalt Hoffmann vertritt zwei Verletzte des Nagelbombenanschlags in der Keupstraße in Köln am 09.06.2004. Unter dem 13. Dezember hielt er nun sein Plädoyer im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München. Das Plädoyer reiht sich in einen gemeinsam abgestimmten Vortrag der Nebenklagevertreter_Innen Carsten Ilius, gemeinsam mit Elif Kubaşık, Sebastian Scharmer, gemeinsam mit Gamze Kubasik, Dr. Peer Stolle, Berthold Fresenius, Stephan Kuhn, Antonia von der Behrens und Dr. Björn Elberling ein. Die gesamten Plädoyers können hier selbstverständlich nicht wieder gegeben werden. Allerdings sollen zu jedem der gemeinsam abgestimmten Vorträge hier eine kurze Zusammenfassung und jeweils ausgewählte Zitate wiedergegeben werden.

 

Zum Anschlag in der Keupstraße und zur Ideologie des NSU und seiner Unterstützernetzwerke

 

 

Rechtsanwalt Hoffmann geht in seinem Plädoyer zum einen auf die Behandlung dieses Anschlags und der Nebenkläger_innen durch Bundesanwaltschaft und Verteidigung ein. Zum anderen befasst er sich mit der Ideologie des NSU und seiner Unterstützernetzwerke.

Der Nebenkläger Arif S. spricht vor RA Hoffmann ebenfalls einige Worte, die wir unten vollständig wiedergeben.

Unter der Überschrift „Niemand wird vergessen - Hiç unutmadık, unutmayacağız“ widmet sich RA Hoffmann zunächst seinem ersten Thema. Er beginnt mit der Feststellung, dass die Taten gegen seine Mandant_innen in der Anklage der Bundesanwaltschaft gar nicht enthalten waren, sich die Bundesanwaltschaft bis zuletzt gegen deren Zulassung als Nebenkläger_innen gewehrt hatte – die Nebenkläger_innen mussten sich also auch hier ihre Rechte erkämpfen.

Er wendet sich dann den Versuchen der Verteidigung Zschäpe zu, seine Mandantin als nicht wirklich verletzt zu diskreditieren und ihre Zulassung als Nebenklägerin anzugreifen – Versuche, die darauf gerichtet waren, den Blick abzulenken vom Charakter des Keupstraßenanschlags als Botschafts-Verbrechen, das alle Bewohner_innen der Keupstraße treffen sollte. Diese Versuche sind vollständig gescheitert.

Im zweiten Abschnitt seines Plädoyers widmet sich RA Hoffmann der Ideologie der Mitglieder und der verschiedenen Unterstützernetzwerke des NSU, von den NPD-Mitgliedern über die Mitglieder von Thüringer Heimatschutz und Kameradschaft Jena bis hin zu Blood and Honour und Hammerskins. Alle verbindet die Wahnvorstellung, das (biologistisch begründete) „deutsche Volk“ befinde sich in einem Abwehrkampf gegen den „Volkstod“, einem „Heiligen Rassekrieg“, der nur über die Vertreibung oder die Vernichtung der angeblichen Bedrohung gewonnen werden könne.

Der Nebenklägervertreter geht im Folgenden zunächst auf die ideologische Ausrichtung des THS und der Kameradschaft Jena ein. Diese war Teil des bundesdeutschen Neonazi-Netzwerks „Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front“, die sich in der Tradition der historischen SA sah. Er weist auf die starken Hierarchien in der GdNF und dem THS hin, die die Annahme, die Sektion Jena habe bestimmte Aktionen ohne den Willen der Führungsebene durchführen können, absurd erscheinen lässt.

Als nächstes widmet sich RA Hoffmann der Organisation Blood and Honour, aus der sich die Chemnitzer Unterstützer rekrutierten. Er verweist u.a. auf die Zeitschriften der Organisation, in denen explizit zum „führerlosen Widerstand“ aufgerufen wird. Er verweist auf die als Grundannahme dienende Parole der „14 words“ (in deutscher Übersetzung: „Wir müssen die Existenz unseres Volkes und eine Zukunft für weiße Kinder sichern.“), die sich sowohl bei Blood and Honour findet als auch bei den Hammerskins und der daran orientierten „Weißen Bruderschaft Erzgebirge“, die von André und Maik Eminger gegründet wurde.

Als letzten Strang beschreibt RA Hoffmann den Angeklagten Ralf Wohlleben und die NPD. Er widerlegt die mit Ideologiefragmenten des neurechten„Ethnopluralist“ unterlegte These Wohlleben, gar nicht „fremdenfeindlich“ gewesen zu sein. Er verweist zum einen auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts im NPD-Verbotsverfahren, das deutliche Worte zu dieser auch von der NPD vertretenen Ideologie gefunden hatte. Zum anderen befasst er sich mit der von Wohlleben und der NPD, aber auch von Wohllebens Verteidigung im Gericht vertretenen These vom drohenden „Volkstod“, der ebenfalls „auf den Grundannahmen eines ethnischen Volksbegriffes, des völkischen Rassismus und der paranoiden Wahnvorstellung einer weltweiten Verschwörung des Großkapitals bzw. des Judentums, die auf einer Vernichtung der deutschen, der weißen Rasse ziele“, basiert.

 

Erklärung des Nebenklägers Arif S.:

Sehr geehrter Herr Richter,

ich möchte meine Rede mit folgenden Worten anfangen: Als erstes wünsche ich allen im Saal außer dieser Mörderin, ihren Unterstützern und Verteidigern, also Anwälten, einen guten Morgen.

Wir wussten, dass an dem Tag, an dem die Bombe geworfen wurde, der Umstand, dass sowohl die Polizei als auch die Krankenwagen zu spät kamen, darauf zurückzuführen war, dass in unserer Straße Ausländer die Mehrheit darstellen.

Dazu noch die Worte des damaligen Innenministers, es sei kein Terroranschlag gewesen, dies enttäuschte uns alle, die Betroffenen in unserer Straße.

Dass nach der Bombe weder der Bürgermeister noch ein hochrangiger Polizist noch irgendein sozialer Dienst kam, dass die Straße und die Betroffenen sich selbst überlassen wurden, führte uns vor Augen, wie stark der Rassismus in diesem Land geworden war.

Die Keupstraße ist eine Straße in Köln, sie ist ein Ort, der zu Köln gehört, eine Straße dieses Staates. Und aus diesem Grund hat der Staat sich um uns zu kümmern. Wir zweifeln an der Justiz, an Gerechtigkeit und an Gleichheit, an der Demokratie eines Staates, der sich nicht um uns kümmert.

Es ist unfassbar, dass die Zivilpolizisten beim Verhör die Ereignisse absichtlich in eine andere Richtung lenkten und uns verdächtigten. Die barschen Gesichtsausdrücke der Polizisten, ihr unmenschliches Verhalten passten überhaupt nicht zu Polizisten dieses Landes.

Den Polizisten, die ständig die gleichen Fragen stellten, sagte ich, dass ich wusste, wer die Täter waren. Und der Polizist fragte mich, wer sie waren. Ich sagte, dass die Täter Neonazis waren. Der Gesichtsausdruck des Polizisten veränderte sich und er sagte mir, dass ich schweigen sollte, indem er seinen Zeigefinger zu seinem Mund führte und „Psst“ sagte. Und ich sprach nie wieder.

Danach wurde ich viereinhalb bis fünf Monate lang von meinem Laden bis in meine Wohnung verfolgt.

Dieser psychische Druck ruinierte mein Leben. Ich konnte es meiner Frau nicht sagen. Mein Sohn war drei Jahre alt, ich konnte mich nicht mehr um ihn kümmern. Ich konnte nicht mehr mit meiner Frau sprechen. Ich war wie ein Geist in unserer Wohnung und zog mich aus meinen sozialen Aktivitäten zurück. Es gab zahllose Tage, an denen ich nachts im Bett schreiend aufwachte. Während alle schliefen, konnte ich um Mitternacht nicht einschlafen. Manchmal ging ich hinaus und lief eine halbe oder ganze Stunde in den Straßen herum. Ich fing an, unter Panikattacken zu leiden, und bekam es mit Flugangst zu tun. Überall, wo ich hingehe, spaziere, herumlaufe, bin ich immer noch in Furcht, denn solange die wahren Täter nicht gefasst und der Justiz übergeben worden sind, werden meine Ängste weiterbestehen. Solange der Staat ihnen Toleranz entgegenbringt, werden sie ungestört tun und lassen, was sie wollen.

Für mich sind alle, die in ihren Organisationsstrukturen sind, schuldig und sollten bestraft werden.


Zitate von RA Hoffmann:

Zur Rolle der Nebenkläger_innen und dem Vorgehen von Bundesanwaltschaft:

„Der Umstand, dass nunmehr eine Verurteilung der Angeklagten Zschäpe wegen einer Tat des versuchten Mordes in 32 Fällen, zu Lasten von 32 Menschen zu erwarten ist, ist ein Verdienst der Nebenkläger, die sich nicht abschrecken ließen, die auf ihrem Recht beharrten. Der Generalbundesanwalt wollte diese weiteren zehn Fälle nicht anklagen, er hat nachhaltig versucht, diesen Menschen ihre Rechtsposition und damit auch die staatliche Anerkennung dieser zehn Menschen als Opfer des NSU vorzuenthalten.“

Das Vorgehen der Verteidigung Zschäpe charakterisiert RA Hoffmann wie folgt:

„Mit der Behauptung, nur wer direkt und unmittelbar körperliche Verletzungen erlitten hat, sei ein legitimes „Opfer“, wurden zahlreiche Nebenkläger, aber auch andere von der Tat Betroffene herabgesetzt. Gleichzeitig sollte damit die Bedeutung des Anschlags geschmälert werden. Es sollte davon abgelenkt werden, was der Nagelbombenanschlag in der Keupstraße war: Terror im eigentlichen und ursprünglichen Sinne des Wortes. Er richtete sich gegen alle Menschen, die in der Keupstraße lebten, arbeiteten, diese besuchten. Er war eine Hassbotschaft an alle, die in dem von völkischem Wahn geprägten Denken des Nationalsozialistischen Untergrundes kein Lebensrecht in Deutschland haben sollen.“

Zusammenfassend und abschließend zur Rolle des Angeklagten Wohlleben:

„Auch der Angeklagte Wohlleben hatte die Ideologie des Thüringer Heimatschutzes, die Ideologie von Blood and Honour, ausgedrückt durch die Parole „14 Words“, verinnerlicht. Eine Ideologie des völkischen Rassismus, in der sich die Protagonisten in einer permanenten Notwehrsituation gegen den herbeiphantasierten Volkstod, in einem beständig geführten „Heiligen Rassekrieg“ sehen, in dem die Verteidigung des Bestandes des eigenen Kollektivs nur über die Vertreibung oder die Vernichtung der angeblichen Bedrohung erfolgen kann.

Auch wenn Wohlleben nicht nachgewiesen werden kann, dass er sich selbst die Hände schmutzig gemacht hat […]: er hat ideologisch alles getan, damit seine Kameraden mit reinem Gewissen die unter dem Namen NSU begangenen Verbrechen begehen konnten. Umgekehrt konnten sich seine Kameraden bei der Begehung der Verbrechen unter dem Namen NSU seines ideologischen Einverständnisses gewiss sein.“

 

 

Zurück