Tino Brandt sagt aus: ideologischer Vordenker, Naziführer, „Top-V-Mann“ und NSU-Unterstützer.

15.07.2014 15:46:00
Presseerklärung der Nebenklagervertreter Rechtsanwälte Sebastian Scharmer und Peer Stolle
vom 15. Juli 2014

Tino Brandt sagt aus: ideologischer Vordenker, Naziführer, „Top-V-Mann“ und NSU-Unterstützer.

Er ist einer der wichtigsten und umstrittensten Zeugen im NSU-Verfahren - Ideologischer Vorreiter und Führungsfigur des Thüringer Heimatschutzes, bestbezahlter „Top-V-Mann“ des Thüringer Verfassungsschutzes und nun Verdächtiger des Missbrauchs von minderjährigen Jungen und der Zuhälterei an diesen: Tino Brandt.

Er berichtete nun, dass er alle Angeklagten, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt nur positiv in Erinnerung habe. Brandt erzählte, er sei damals Mitglied einer „Jugendgruppe“ namens Thüringer Heimatschutz (THS) gewesen. Dort habe er auch die Jenaer beim so genannten „Mittwochsstammtisch“ oder bei der „THS-Kader Sitzung“ kennengelernt und regelmäßig gesehen. Man habe gleiche politische Überzeugungen geteilt. Nach dem Zusammenbruch der DDR habe es auch in der BRD die gleiche „Zensur und Unterdrückung“ gegeben. Das war nach seiner Meinung nicht das, was er sich unter einem „freien Rechtsstaat auf deutschen Boden“ vorgestellt hatte. Gewisse „wissenschaftliche Themen“, die als „revisionistisch“ bezeichnet werden, dürfte man nicht öffentlich thematisieren, sonst würde man sofort ein Ermittlungsverfahren bekommen, so wie Horst Mahler, der nur inhaftiert sei, weil er „gewisse Sachen“ anzweifeln würde.

Seit 2001 habe er mit der Kameradschaft Jena und dem Thüringer Heimatschutz nichts mehr zu tun gehabt, weil er vorher den „größten Fehler“ seines Lebens gemacht hätte und mit dem Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz zusammengearbeitet habe.

Während der Vernehmung verzog Zschäpe das Gesicht und schüttelte demonstrativ den Kopf – ein Verhalten was ungewöhnlich für die sonst so beherrschte und emotional kontrolliert wirkende Angeklagte ist.

Zschäpe habe er beim Stammtisch kennengelernt, als Teil der Jenaer Kameradschaft. Später traf er sie immer wieder auch bei Rechtsschulungen, Demonstrationen und Stammtischen der Naziszene.

Mundlos habe immer viel geredet und sich gut integrieren können, sei ein „lustiger Typ“ gewesen. Die Kameradschaft Jena sei eine relativ geschlossene Gruppe gewesen. Er habe in der Regel mit Andre Kapke zu tun gehabt. Mundlos sei „Nationaler Sozialist“ gewesen und wäre auch so aufgetreten. Er habe sich für die „Ideale der NSDAP“ eingesetzt und diese für gut befunden. Bücher über Rudolf Hess und die „Meinungsdiktatur“ bestellte er extra bei Brandt, der bei einem rechtsextremen Verlag arbeitete. Mundlos konnte sein nationalsozialistisches Weltbild argumentativ gut begründen. Er wäre auch für eine „Ausländerrückführung“ gewesen, wie sie alle.

Zur Frage einer Gewaltdiskussion wich der Zeuge aus und erklärte, dass man ja extra in die NPD gegangen ist, um Ziele über Wahlen zu erreichen. Man habe lieber diskutieren wollen, als Positionen mit Fäusten durchzusetzen. Mit Mundlos habe er aber drüber aber nicht gesprochen.

Böhnhardt sei im Vergleich zu Mundlos eher zurückhaltend und schweigsam gewesen. Er habe auch nicht soviel gelesen. Er habe die gleichen gefestigten Ansichten vertreten, wie die ganze Jenaer Gruppe. Böhnhardt sei „nicht jedes Mal“ mit einem Schlagstock durch die Gegend gezogen. Er habe eine „uniformähnliche Kleidung“ getragen – jedenfalls bei den „Mittwochsstammtischen“, bei Demonstrationen wäre so etwas ja nicht gegangen. Böhnhardt habe sich auch mal für ein „Wurfmesser“ oder andere Waffen interessiert, habe aber „nicht ununterbrochen“ davon geredet. Sven R., ein extrem militanter Rudolstädter Neonazi, ein „echter Psychopath“, der regelmäßig Wehrsportübungen durchführte, sei besonders gut mit Böhnhardt zurecht gekommen.

Die Kameradschaft Jena sei eine eher kleine, aber besonders gefestigte elitäre Gruppe gewesen. Die Angeklagten Holger G. und Carsten S.. kenne er ebenfalls vom Mittwochsstammtisch des Thüringer Heimatschutzes als Teil der Kameradschaft Jena. Teilweise habe die Kameradschaft Jena auch nicht alle eigenen Aktionen im THS bekannt gegeben und wäre konspirativ vorgegangen.

Zschäpe sei immer ruhig und zurückhaltend aufgetreten. Bei Schulungen konnte sie mit Fachwissen zu Rechtsfragen, zum „Germanentum“ und zu weltanschaulichen Fragen, wie „NS-Wissen“ glänzen. Sie sei keine „dumme Hausfrau“. Sie habe nie im Vordergrund gestanden, habe aber an Aktionen teilgenommen. Bei „politischen Sachen“ war sie dabei. Bei Diskussionen konnte sie sich immer einbringen. Ob sie mit Böhnhardt und/oder Mundlos zusammen war, habe er nicht einschätzen können. Die Drei seien aber immer zusammen gewesen, haben einen „vertrauten Umgangston“ gepflegt.

Wohlleben sei ebenfalls aktiv und selbständig aufgetreten, habe von ihm den Posten des Pressesprechers der NPD übernommen. Auf den habe man sich immer verlassen können.

André Kapke sei ebenfalls eine Führungsfigur aus Jena gewesen. Den habe man aber nicht öffentlich sprechen lassen dürfen, weil er zu „rabiat“ aufgetreten wäre. Irgendwann hat Kapke ihn angerufen und von der Flucht der Drei erzählt. Man habe erst nicht nachvollziehen können, warum die Drei wegen möglichen 2-3 Jahren Knast alles aufgeben würden. Dann kam die Info, dass Geld gebraucht wird, was er – wie andere – gesammelt hat. Es ging allein von ihm um 500 – 3.000 DM, was er bei mehreren Treffen bis circa ½ Jahr nach der Flucht zunächst an Kapke und dann an Wohlleben übergeben habe.

Das Geld habe er zum Teil aus dem Verkauf mehrerer Ausgaben des rechtsextremen Spiels „Pogromoly“ beschafft, welches vom Trio gefertigt und von Kapke überbracht wurde. Zudem seien Konzerte zum Spendensammeln organisiert worden. Einen weiteren Teil des Geldes zur Unterstützung der Untergetauchten habe er vom Thüringer Verfassungsschutz bekommen. Irgendwann habe ihm Wohlleben gesagt, dass es bei der Übergabe des Geldes an Kapke zu „Unregelmäßigkeiten“ gekommen wäre und in Zukunft die Zahlungen für das Trio über ihn laufen sollen. Auch Carsten S. wäre an ihn herangetreten und habe ihn um die Übermittlung von Nummern für 3-4 Telefonzellen gebeten, über die er dann auch Kontakt zu den Untergetauchten hatte. Er habe dann auf seiner Arbeit in Coburg einen Anruf bekommen, wann er an welcher Telefonzelle seien sollte. Bei dem Anruf ging es um das Geld, wieviel er gesammelt und an wen er es weiter gegeben hatte. Wo das Trio sich aufhielt, habe er angeblich nicht gewusst. Es soll jedoch die Info gekommen sein, dass die Drei sich in Sachsen befinden würden.

Eine Erinnerung an eine mögliche Passbeschaffung für die Drei habe er nicht. Er habe nur gewusst, das Carsten S. Kontakt zu den Dreien habe. Dieser soll auch ein eigenes Kontakthandy besessen haben, mit dem er das Trio anrufen konnte. Wer noch mit ihnen direkt in Verbindung stand, wisse er nicht. Wohlleben habe aber gesagt, dass er so stark überwacht werde, dass er keinen persönlichen Kontakt haben könne.

1994 gab es Presseberichterstattung über ein Nazikonzert. Dazu gab es ein Interview mit Brandt, bei dem er erklärte, dass man weg vom reinen „Gewaltimage“ wolle. Daraufhin meldete sich das erste mal der Verfassungsschutz bei ihm. Man wolle das Gleiche und könne zusammen arbeite. Er habe für die Antwort auf ein paar Fragen gleich ein paar Hundert Mark bekommen. Brandt habe das sofort an Kai Dalek kommuniziert, einen Führungskader der Neonaziszene in Bayern. Der meinte, Brandt solle selbst entscheiden, was er macht. Dann lief es bis 2001 mit seiner V-Mann-Arbeit, zuletzt mit wöchentlichen Kontakten. Von dem Geld habe er in der rechtsextremen Bewegung gut politisch arbeiten können. Der Verfassungsschutz habe ihn so auch lange, ohne Einfluss auf ihn zu nehmen, laufen lassen. Irgendwann hätte es aber Auseinandersetzungen innerhalb des Thüringer Verfassungschutzes gegeben, weshalb er zeitweise abgeschaltet wurde. 2001 wurde seine Tätigkeit öffentlich und war damit beendet.

Geld habe er mit der Zeit immer mehr bekommen. Der Verfassungsschutz habe auch seine Telefonrechnung, die schon mal zu Zeiten von Hess-Demonstrationen wegen seiner bundesweiten Koordinationsarbeit über 1.000 € betragen hat, bezahlt. Insgesamt kann es sein, dass er so 100.000 € - 140.000 € bekommen habe, die er in die politische Arbeit gesteckt hat - für Organisationskosten, Reisen, Publikationen oder auch mal zur Tilgung einer Geldstrafe von André Kapke. Zur Auffindung des Trios habe der Thüringer Verfassungsschutz zudem eine Prämie von etwa 5.000 DM versprochen.

Dem Verfassungsschutz habe er „immer wahrheitsgemäß“ allerdings nicht vollständig berichtet. Er ging davon aus, dass André Kapke von seiner V-Mann-Tätigkeit wusste, weil er ja immer über hohe finanzielle Mittel verfügt habe. Er habe dem Verfassungsschutz nicht alles erzählt. Zu möglichen Straftaten in der Szene hätten seine V-Mann-Führer auch explizit nichts wissen wollen. Dazu habe er auch nicht berichtet.

Auf mehrere konkrete Vorhalte aus Vermerken über Gespräche von Brandt mit dem Verfassungsschutz kam fast wortgleich immer die gleiche Antwort: „Kann sein, da habe ich aber keine genaue Erinnerung mehr dran.“

1999 und 2001 habe er mit Thorsten Heise gesprochen. Dabei sei es wohl auch um die drei Untergetauchten gegangen. Was genau, wisse er angeblich nicht mehr.

Die Vernehmung durch den Vorsitzenden wurde zunächst unterbrochen und wird morgen fortgesetzt. Ob es dann bereits zu einer weiteren Befragung durch die weiteren Prozessbeteiligten kommt, ist noch offen.

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